Ein Brillengestell aus Holz? Haben wir „ein Brett vorm Kopf”? Keineswegs!
Tja, was kann man nicht alles aus Holz herstellen? Häuser, Möbel, Hausrat, Spielzeug, Schiffe: Altbewährt und altbekannt. Uhren, Instrumente, Fahrräder: Da wird es schon spezieller und der geneigte Betrachter beginnt zu staunen. Bei uns geht es heute allerdings in der Kategorie „Wissenswertes” um ein Produkt auf das ich vor Kurzem ganz zufällig gestoßen bin: Brillengestelle ganz aus Holz, gefertigt von der Manufaktur Herrlicht aus Erfurt. Und „ganz aus Holz” ist dabei durchaus wörtlich zu nehmen da selbst für das Verschluss-System und das Scharnier kein anderes Material verwendet wird. Beim Glas allerdings, müssen wir vor der Physik kapitulieren, denn gibt es leider (noch) nichts durchsichtiges 😉
Betrieben wird die Werkstatt von dem Erfurter Designer Andreas Licht, einem Tüftler der durch eine neue Verarbeitungstechnik den Holzbrillenbau praktisch neu erfunden hat. Bestanden die bisherigen Versuche vor Allem daraus, aus einem vorhandenem Plattenmaterial (Multiplex oder Ähnliches) die Rohlinge auszusägen und sie dann durch fräsen und schleifen weiter zu bearbeiten, wählte er eine völlig anderen Weg indem er mit dem Formverleimen von einzelnen Furnierlagen experimentierte.
Die Unterschiede zwischen diesen beiden Methoden kann man eigentlich am Besten mit den klassischen Arten der Messerherstellung vergleichen. Der einfache Weg besteht dort darin, die Klingenform auf ein Stück Flachstahl aufzumalen und sie anschließend auszuflexen und so lange zu schleifen bis sie wie ein Messer aussieht (nennt man übrigens „Stock-Removal-Verfahren”).
Die Königsdisziplin hingegen ist das Schmieden des Messers aus mehreren dünnen Lagen Stahl, das sogenannte Damast schmieden. Hierbei werden die Ausgangsmaterialien übereinander gelegt und im Schmiedefeuer verschweißt. Die Vorteile sind bei Stahl wie bei Holz die Gleichen: Das fertige Produkt ist in sich flexibler, bricht nicht so leicht und kann wesentlich filigraner heraus gearbeitet werden.
Design und Material vom Brillengestell
Ok, eine Doppelstegbrille lässt sich aus Holz wohl nicht herstellen aber wer jetzt erwartet hat auf die Hornbrillenoptik à la Woody Allen zu stoßen irrt sich gewaltig. Leicht und filigran kommt das Brillengestell daher, die Modelle von Herrlicht (nein, ich verkneife es mir „herrlichte” Brillen zu schreiben, mach ich definitiv nicht).
Die warmen Farben für das Brillengestell werden von den verwendeten Holzsorten bestimmt da die Rahmen nicht koloriert werden. Ausnahme: Die Räuchereiche wurde bei der Herstelung mit Ammoniak begast. Zur Verwendung kommen unter Anderem Ahorn, Kirsche, Birne, Wallnuss, Räucher- und Mooreiche, Letztere ergibt so ein wunderschönes, samtenes Schwarz, na, ihr wisst schon. Ach, und eh ich es vergesse: Erfreulicherweise wird kein Tropenholz verwendet!
Die Praxis
Da meine „First Lady” selbst Brillenträgerin ist, habe ich sie während der Recherche zum heutigen Blog mal gefragt auf was sie beim Brillenkauf, neben der Optik vom Brillengestell, denn achte. Die Antwort kam prompt:
1. Gewicht
2. Möglichkeiten zum Anpassen
3. Preis
So, here we go:
1. Das Brillengestell von Herrn Licht sind vergleichsweise leicht und wiegen, ohne Gläser, ca.12 Gramm. damit sind sie wesentlich leichter als Horn- oder Acetatbrillen und nur wenig schwerer als z.b. Titanbrillen (und selbst da hängt es von der Marke und damit von der Materialstärke ab).
2. Es gibt die Gestelle in verschiedenen Modellen, das heißt es gibt eine Kollektion, welche suzusagen vorgefertigt ist – es sind also keine individuell angefertigten Brillen (wie bei anderen Brillenherstellern auch). Die Anpassung ist bei Holzbrillen generell nicht ganz einfach, schon durch die Eigenschaften des Materials. Da auch die Holzbügel aus mehreren Funierschichten bestehen, kann man diese unter warmer Luft horizontal etwas anpassen, vertikal geht da wohl nichts mehr. Die Bügel sind allerdings in verschiedenen Länge erhältlich, so dass man da auch noch variieren kann. Grundsätzlich werden diese Anpassungen immer von den jeweiligen Optikern vorgenommen, nur in „Problemfällen“ landet mal eine Brille wieder in Erfurt und dann wird nach einer individuellen Lösung gesucht.
3. Je nach Ausführung dürfen die Modelle wohl auch schon mal im vierstelligen Bereich liegen, wobei einen das bei einem komplett handgefertigten Produkt auch nicht weiter verwundert.
Ausblick
So kann das also aussehen wenn sich handwerkliches Geschick, Liebe zum Design und Erfindergeist zusammentun. Es entstehen kleine Kunstwerke für den täglichen Gebrauch.
Da wünscht man sich (beinahe) eine Sehschwäche.
P.S.: Die Brillen von Herrlicht werden weltweit vertrieben, der Absatzanteil in Deutschland beträgt nur etwa 10 %. Ihr könnt also ziemlich sicher davon ausgehen, dass der Schnösel von nebenan sowas nicht zu seinem Vierzigsten geschenkt bekommt und euch beim nächsten Straßenfest wieder die Show stiehlt ;-).
0 Kommentare